B l i c k d i c h t
Abbilder des menschlichen Kopfes treten in unterschiedlichen Werkgruppen meiner plastischen Arbeit seit Mitte der neunziger Jahre auf. Der konkreten Form eines Kopfes liegt immer der Prozess des Modellierens in Ton zugrunde. Durch das Brennen oder das Abgießen in Wachs, die farbige Fassung der Oberflächen und die Kombination mit anderen Materialien und Formelementen entstehen visuelle und haptische Reize, die einerseits das Maskenhafte und Artifizielle, das jedem statischen Abbild des Gesichts innewohnt, betonen und andererseits die Form öffnen und unterschiedliche Assoziationen hervorrufen. Körperlichkeit und Vergänglichkeit sind wiederkehrende zentrale Themen.
Anfangs habe ich bei betont inszenierten, stereotypen Haltungen und Gesichtsausdrücken, die auf menschliche Grenzerfahrungen verweisen, bei der Suche nach Proportionen auch mit der eigenen Physiognomie gearbeitet. Im Laufe der Jahre ist durch spielerische Verzerrungen ein im Ausdruck neutrales Alter Ego entstanden, das sich in verschiedenen Kontexten behauptet. Die konkreten Köpfe entziehen sich so zunehmend der Frage nach der Identität möglicher Modelle und der Darstellung von Emotionen oder gar Charaktereigenschaften. So entstehen für mich aus der Ambivalenz sinnlichen Erlebens und der Suche nach Stille Wegmarken, die das Hier und Jetzt sowohl spiegeln als auch darüber hinausweisen.
Jürgen Mester, Düsseldorf 2019, Textbeitrag zum Ausstellungsprojekt Blickdicht
V o m A n k o m m e n u n d W e i t e r g e h e n
Arrival ist der Titel einer Installation, die im März 2013 für das Glashaus auf dem Worringer Platz entstand. Jürgen Mester inszenierte diesen ungewöhnlichen Ausstellungsraum in der Nähe des Düsseldorfer Hauptbahnhofs, der seit vielen Jahren von Künstlern für unterschiedlichste Projekte genutzt wird, wie einen Kapellenraum. Als Herzstück seiner Installation präsentierte er in dem Gewächshaus einen überdimensionalen Kopf aus Wachs, der 2012 in seinem Atelier entstanden war, gleichsam wie im Allerheiligsten einer Tempelanlage.
Das Glashaus wird mittig in einen Eingangsbereich und die eigentliche Ausstellungsfläche geteilt: unzählige aus farbigem Karton geschnittene Elemente, die Assoziationen an Organe und Körperteile wecken, schweben nebeneinander im Raum und bilden einen Vorhang in der Form eines Us. Nach Betreten des Raums wird dem Besucher so zunächst der Blick nach außen und auf die Rückseite der Wachsplastik versperrt. Zur Betrachtung des Wachskopfes wird er auf den Außenraum verwiesen, wo ihn allerdings die Scheiben vom Wachsguss trennen. Zur unmittelbaren Wahrnehmung der Oberflächenwirkung muss die Barriere im Innern überwunden werden, wodurch der Vorhang leicht in Bewegung gerät. Nach der geschützten Empfangszone findet sich der Besucher dann in einer exponierten Situation wieder, in der er den Außenraum – die grelle Hektik und Dynamik des Worringer Platzes – umso mehr wahrnimmt. In dieser Hälfte des Glashauses wird der Betrachter mit dem Kopf zum Ausstellungsobjekt.
In deutlichem Kontrast zu seiner Umgebung schaut der Kopf mit leicht geöffnetem Mund auf seinem Sockel in Richtung Bahnhofsvorplatz. Er zeichnet sich durch ein ruhiges, klares Formenspiel aus und erinnert durch seinen symmetrischen Aufbau, die hohe Stirn und die großen Ohren an Darstellungen archaischer Gottheiten oder Buddhas. Aus dem Aufeinanderprallen dieser spirituellen Wirkung mit dem Banalen der Umgebung ergibt sich ein spannendes Wechselspiel. Auch innerhalb der Installation wird dieser Aspekt aufgegriffen. Der Sockel entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein Stapel mit weißer Dispersionsfarbe überstrichener Umzugskartons. Hierdurch gelingt es dem Künstler, die Erwartungshaltung des Betrachters zu konterkarieren, ohne einen allzu offensichtlichen Bruch in der Präsentation des Kopfes hervorzurufen. Durch ihre Aufstellung nehmen die Kartons die aufeinandertreffenden Nähte, die durch das Gussverfahren entstanden sind und die der Künstler sichtbar lässt, auf und schaffen sowohl eine Bindung zur Plastik darauf als auch zu den Spuren vorangegangener Projekte auf dem weißen Boden darunter. Die Leichtigkeit und die Immaterialität der Kartons entsprechen der des Vorhangs im vorderen Bereich des Raums.
Gleichzeitig nehmen die Umzugskartons Bezug zum Titel der Installation. Wie im Aufbau treffen auch im Wort Arrival Sakrales und Profanes aufeinander; Ersteres klingt an, wenn wir uns die lateinische Übersetzung Adventus ins Gedächtnis rufen. Zugleich lässt der Titel aber in ironischer Brechung an den Ankunftsbereich im Flughafen denken, der an sich niemals ein Ort tatsächlicher Ankunft, sondern immer ein Ort des Weiterstrebens, des hektischen Fortkommens bleibt. Ein deutlicher Bezug zur Identität des Worringer Platzes ist hiermit gegeben: Kein Ort des Innehaltens, sondern des hektischen Treibens, der fahrenden und stoppenden Autos, der zwischen Hauptbahnhof und Flingern vorbeihastenden Passanten. Nur wenigen Düsseldorfern dient dieser Ort mit seinen dafür vorgesehnen Bänken als Treffpunkt und Aufenthaltsort.
Die Installation Arrival verweist auf verschiedenen Ebenen auf unterschiedliche Werkgruppen Jürgen Mesters, die seit Anfang der 90er Jahre entstanden sind: das Gießen in Paraffin und Stearin, das organisch-figurative Formenrepertoire, der Bezug zum Banalen und Alltäglichen und nicht zuletzt Körperlichkeit und Vergänglichkeit als zentrale Themen seiner künstlerischen Arbeit.
Mitte der 90er Jahre entstanden erste menschliche Köpfe, die ausschließlich als Paar oder Dreiergruppe auftraten und an die der Bildhauer in einer neuen Werkgruppe seit 2012 anknüpft. Pigmente, die der Künstler in den Guss gibt, verleihen einigen Köpfen in beiden Werkgruppen eine sanfte Farbigkeit, die von kostbar wirkendem Jadegrün bis hin zu lebendigem Apricot reicht und das Material mal wie durchscheinenden Alabaster, mal wie feines Elfenbein erscheinen lassen. Ein starker haptischer Reiz geht von diesen Plastiken aus. Nicht selten muss dem Drang widerstanden werden, sie anzufassen. Sie begegnen dem Betrachter meist en face. Die Frontalität erzeugt eine stark ansprechende, gleichsam bannende Wirkung. Einige der frühen Köpfe, die an die spätbarocken Fratzen Franz Xaver Messerschmidts erinnern, geben noch zu erkennen, dass der Künstler zu Beginn bei eingenommenen Gesichtsausdrücken und bei der Suche nach Proportionen auch mit der eigenen Physiognomie gearbeitet hat.
Die Verformungen und Verzerrungen der neuen Werkgruppe verweigern zunehmend nicht nur die Ähnlichkeit zur eigenen, sondern zu jeglicher festgelegten Physiognomie. Das Stereotype und das Maskenhafte, das jedem Abbild des menschlichen Gesichts innewohnt, werden zum Thema. Material und Motiv haben lange Traditionen, stellt doch das Bildnis eine der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben der bildenden Kunst durch alle Epochen dar. Assoziationen zu antiken Herrscherporträts werden geweckt – und direkt gebrochen. Die Harmonie und Feierlichkeit, die Tradition und Material versprechen könnten, halten diese Köpfe nicht ein: Die maskenhaften Gesichter werden auch hier bis ins Groteske verzerrt, wohlproportionierte Formelemente verschmelzen mit riesigen Ohren und absurd langen Nasen.
In Jürgen Mesters Atelier entstanden im zweidimensionalen Bereich neben Zeichnungen, Aquarellen und Collagen zwischen 2004 und 2010 vor allem Fotoarbeiten. Hierfür wurden zunächst Schnittblumen zu außergewöhnlichen Stillleben arrangiert: Anstatt die Blumen in Vasen abzubilden liegen sie zusammen mit Folien, Papieren und Flüssigkeiten in Aufsicht und werden so fotografiert, dass das Arrangement den Bildrahmen durchbricht und die Verortung des Motivs in der Realität nicht zugelassen wird. Weitere Verfremdungen des Sujets folgen: Das Foto wird stellenweise nachkoloriert und übermalt, eingescannt und vergrößert ausgedruckt. Fotografiertes und Manipulationen mit dem Pinsel nehmen gleichwertig neben- und miteinander räumliche Präsenz im Bild ein und bilden gemeinsam ein nahezu abstraktes Form- und Farbgefüge, das irritierende haptische Qualitäten aufweist. Auch hier begreift sich der Künstler also vorrangig als Bildhauer. Auch wenn er sich mit dem originär zweidimensionalen Medium Fotografie beschäftigt, tut er dies mit einem plastischen Anspruch und hinterfragt die Gattungsgrenzen. Konsequenterweise bezeichnet Mester diese Bilder auch nicht als Fotos, sondern als Prints, was ihren Objektcharakter unterstreicht und von ihrer Wahrnehmung als Abbild der Wirklichkeit abrät. Ein Gefühl der Ungewissheit, das sich beim ersten Betrachten dieser Bilder einstellt, wird bei genauerem Hinsehen nicht aufgelöst, sondern teilweise bis zum Unangenehmen gesteigert. Außer Blüten, Folien, Plastikbechern und nicht identifizierbaren Flüssigkeiten werden in einigen späteren Stillleben auch verdorbenes Gemüse und Fisch mit zerbrochenen Glasflaschen ganz unverhüllt abgelichtet. Unterschiedlichste haptische Sensationen werden hier zusammen präsentiert: Weiches, Glattes, Pelziges, Glitschiges und Scharfkantiges. Eine einzelne Nelke bleibt als ironische Anspielung auf den Odeur des Motivs zurück. Zu den Aspekten des Optischen und Haptischen gesellt sich der des Olfaktorischen. Diese Bilder wollen mit allen Sinnen wahrgenommen werden. Der Rückgriff auf die Tradition des barocken Vanitas – Stilllebens wird offensichtlich.
Die kunsthistorischen Bezüge in Jürgen Mesters Arbeit sind aber niemals bloßer Kommentar, sondern entstehen durch das Wissen um Traditionen bei der Suche nach adäquaten Formen für Gesehenes und Erlebtes. So entsteht immer etwas ganz Eigenes, Neues. Seine Kunst ist auch dort, wo sie figurativ ist, nicht vorrangig Abbild der Wirklichkeit. Der Künstler nutzt Wachs, nicht um dessen Möglichkeiten einer hyperrealistischen Wiedergabe auszuloten, sondern um die Künstlichkeit und Kunsthaftigkeit des Objekts hervorzuheben. Gezielt wird der Bruch mit der Tradition und der Erwartungshaltung des Betrachters gesucht, um den Blick zu öffnen. Das Moment der Überraschung spielt dabei eine wichtige Rolle. Auch wenn auch das Material verführerische ästhetische Eigenschaften aufweist und man sich in den Farbspiralen der Prints durchaus verlieren kann, wird Mesters Kunst nie gefällig. Es ist gerade auch das Störende, was den Reiz und das Heutige seiner Plastiken und Bilder ausmacht.
Sandra König, Kunsthistorikerin, Düsseldorf 2015
R e n d e r i n g
Lässt uns rendering – ausführen, darstellen, übersetzten – heute zuerst an digitale Verfahren der Bilderstellung und -bearbeitung denken, so bezeichnet es ursprünglich in Kunst und Design das Übertragen von Skizzen in ausformulierte bildnerische Formen. Zeichnen, Malen, Modellieren, Gießen, Schneiden und Weben sind die Tätigkeiten, die die in der Ausstellung zu sehenden Produkte haben entstehen lassen. Das Arbeiten am Computer ist allen beteiligten Künstlern ebenso vertraut und fließt auch in unterschiedlichen Formen in deren künstlerische Arbeit ein, hat aber hier, wenn überhaupt, nur einen der konkreten Umsetzung von Bildern und Ideen in Material vorbereitenden Charakter.
Meine Wachsköpfe thematisieren jenseits des Abbildens eines Individuums oder eines erlebten Ausdrucks das Oberflächliche und Maskenhafte, das jede Darstellung der menschlichen Physiognomie beinhaltet. Die Verzerrungen, das Sichtbarmachen des Arbeitsprozesses und die Betonung der Künstlichkeit des Materials öffnen die statische Form dem Betrachter. Meine Vorhang-Installation am Fenster steht durch ihre organischen Formen und Farben in Korrespondenz zu den Köpfen und bezieht sich spielerisch auf die Ausstellungssituation in einer Privatwohnung.
Jürgen Mester, Düsseldorf 2013, Textbeitrag zum Ausstellungsprojekt Rendering
S c h n i t t b l u m e n
Bilder von Jürgen Mester (Jahrgang 1961) sind derzeit in der Weltmetropole London, im katalonischen Figueres und im mecklenburgischen Voßfeld zu sehen. Das Thema Schnittblumen in der Fotogalerie V mag dem einen oder anderen Besucher in seinen Erwartungen aufladen, wie der Künstler die lauernden Gefahren eines blumigen Dekorabbilds oder gar Kitschfallen umgeht, um dem Thema neue Sichtweisen abzugewinnen.
Für Letzteres birgt Mesters Biografie ausreichend kreatives Potenzial. Er hatte seine Ausbildung an den Kunstakademien in Münster und Düsseldorf 1988 als Meisterschüler beendet. Als Bildhauer hat er sich immer wieder mit den Themen Porträts und Blumen beschäftigt. Vor Jahren entdeckte der gebürtige Herforder (Westfalen) das Thema Schnittblumen ganz neu für sich. Er kaufte Lilien, Tulpen, Freesien und Amaryllis, wartete auf den grafisch attraktiven Zustand ihres Verblühens und fotografierte sie mit Kleinbild- oder Digitalkamera.
Mit der Entscheidung für einen Bildausschnitt hatte der Düsseldorfer die erste Phase seiner künstlerischen Arbeit abgeschlossen und das abstrakte Potential, das die Blume als Form selbst hat, freigelegt. Es folgten der Ausdruck, das Colorieren und Ausmalen sowie das hochauflösende Einscannen der Bilder. Diese Arbeitsweise ermöglicht eine Darstellung von subtilen Farbtonwerten. So muten die Amaryllis mit ihrer brillanten Pracht der großen, an einem langen Schaft sitzenden, trichterförmigen, rosen-roten Blüten eher wie ein duftiges Aquarell als ein farbiges Lichtbild an. Das Blumenmotiv mit seinen üppigen Blüten und die Farben Weiß, Rot, Gelb, Grün und Blau verschwimmen ohne scharfe Grenzen ineinander.
Der Lichtbildner nutzt das Naturbild, um es in einer Kunst des Weglassens und des Ausmalens zu gestalten. Fotografisches und Malerisches verschmelzen zu einer phantasie- wie auch kunstvollen Kreation. Nicht die naturalistische Darstellung der Blumen, sondern Blüten mit ihren mannigfaltigen Formen, Farben und Strukturen lösen offenkundig den künstlerischen Schaffensprozess aus. Die Blumen und ihre Blüten werden zur idealen Projektionsfläche, die unmittelbare Wahrnehmung des Künstlers auszudrücken. Die filigranen Bilder erscheinen mal als Aquarell, mal als Ölbild, weniger als Fotografie.
Die Steigerung des Schönen, die Reales ins Künstliche hebt, das betonte Vermeiden von traditionellen Bildkompositionen und das Ausspielen des Schönen und Erhabenen – das sind wohl die künstlerischen Strategien von Jürgen Mester. Er knüpft bewusst oder unbewusst an die fotografischen Traditionen der Moderne schöpferisch an. Karl Blossfeldt, Edward Steichen, Imogen Cunningham, Irving Penn, Robert Mapplethorpe, Nobuyoshi Araki und Wolfgang Tillmans haben sich in besonderer Weise mit dem Motiv der Blume beschäftigt und eine neue Ästhetik in die Blumenphotographie eingebracht.
Die Schnittblumen in den Galerien in London, Figueres und Voßfeld werden so zum Gradmesser der kreativen Fähigkeiten von Jürgen Mester, mit neuen Sehweisen auch das Thema Natur neu zu denken. Die Hängung betont die Vielfalt künstlerischer Gestaltungsmöglichkeiten in einer geglückten Melange von Fotografie und Malerei. So kann das uralte Motiv der Blume in der zeitgenössischen Kunst überleben.
Dr. Jürgen Tremper, Neubrandenburg 2006, Artikel im Nordkurier zur Ausstellung Schnittblumen
Pressetext anlässlich der Ausstellung Gemeinsamkeiten im Projektraum 150 m³ Largus in Köln:
Auf Makrofotografien trifft man in Möbelhäusern als gerahmten Wandschmuck oder in aufwendig gestalteten Bildbänden. Der Blick in den Mikrokosmos, der dem bloßen Auge verborgen bleibt, löst immer wieder große Faszination aus. Jürgen Mester nimmt sich dieser auf Hochglanz gebrachten Bildgattung an, doch sucht man bei ihm die typischen glasklaren Einblicke vergeblich.
Trotz der Vergrößerung der Ansichten wirkt vieles in seiner Materialität undefiniert. Vielmehr scheinen seine Bilder den Ausschnitt eines abstrakt anmutenden räumlichen Gebildes zu zeigen, in dem sich alles auflöst, um ein opulentes farbiges Eigenleben zu entwickeln. Erst auf den zweiten Blick sind fotografierte Bläschen und in Flüssigkeit schwimmende Blüten und Farbschlieren identifizierbar. Der Gedanke an eine besonders morbide Form des Blumenstilllebens liegt nahe.
Diesem befremdlichen Glanz entspricht der transparente Gebrauch der Mittel. Nachkolorationen und Übermalungen sind deutlich erkennbar und entwickeln in der Vergrößerung ihre eigene räumliche Präsenz. Vereinzelte Spülmittel-Bläschen, beliebtes Mittel der Werbung zur Erzeugung falschen Glanzes, weisen ebenso auf einen üppigen Gebrauch manipulativer Mittel hin und lassen das Bild fragil und fragwürdig erscheinen. Gerade dieses Umlenken des Blickes von der abgebildeten Realität auf die darstellerischen, manipulativen Mittel erzeugt eine eigene Faszination. Man empfindet Freude an den haptisch nachzuempfindenden Eingriffen. Durch das Inszenieren, Verfremden und Zurschaustellen von Wirklichkeit konstruiert Jürgen Mester eine neue, freundlich überdrehte Bildwelt.
Fabian Weinecke, 2005
S o n n e u n d M e e r h i n t e r d e r B a h n
(…) Im Erdgeschoss hat Jürgen Mester drei überlebensgroße Wachsköpfe aufs Podest gestellt. Ihre sanfte Tönung verdanken sie Farbpigmenten, die Mester vor dem Guss mit Stearin und Paraffin mischt. Die Sinnlichkeit des Materials verführt sogar zur heimlichen Berührung, und wenn das Licht im richtigen Winkel einfällt, leuchtet es das aprikosenfarbene Paraffin bis auf den Grund aus. Aus der Ruhe des geformten Antlitzes und der Zerbrechlichkeit des Materials entsteht eine Spannung, der man sich kaum entziehen kann.
Allerdings raubt der Künstler ihnen viel von ihrem eigentümlichen Pathos, denn er verzerrt die Proportionen der wächsernen Häupter ins Karikaturhafte. So wie sie sind – kahl geschoren, mit großen Ohren und riesigen Nasen – erinnern sie an die berühmten Schnabelköpfe aus Silikongips , mit denen der Bildhauer Franz Xaver Messerschmidt vor gut 200 Jahren das Wiener Publikum brüskierte. Schmunzelnd gesteht Mester, dass er zunächst von der eigenen Physiognomie ausgegangen ist. Humor hat er, Sinn für Selbstironie und ziemlich viel Talent.
Klaus Sebastian, Düsseldorf 1997, Artikel in der Rheinischen Post zur Ausstellung Salon Carla